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Marine-Generalarzt a. D. Dr. med. Richard Kleffel (1850–1919)
Leitender Arzt

Juli 1906

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September 1906

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Donnerstag, 19. Juli 1906
Nachts, etwa gegen 4h. gewaltiges Gewitter, das sich fast direkt über uns entladet. Hinterher entsprechender Regen. Trotzdem bleibt es am Tage erdrückend heiß u. es ist keine Kleinigkeit dabei stramm zu arbeiten. Man reißt, um etwas Abkühlung zu haben alle Fenster auf und sitzt schweißtriefend im Zug. Ein amerik. Arzt aus Boston, Dr. Locke |1| trifft ein, der sich für etwa eine Woche hier informieren will. Er spricht nur wenig Deutsch u. daher überreicht Kr. |2|, der kein Englisch versteht, ihn mir. Scheint ein ganz netter Mensch, aber trotzdem ist er für mich eine Bürde. Heute schon muß ihn an Dr. R. |3| reichen, da gegen Abend Karl u. Else |4| zum Besuch kommen. Bleiben zum Essen bei mir. Sitzen im Wintergarten. Hinterher bei Kr. |2|, wo Karl sich an Pianola Vorführ. erfreut. Wird spät. Mit Handlaternen bewaffnet Rückweg durch Wald. Ich begleite Stück.
Die heutigen Nachrichten von meinem Altchen versetzen mich in kein geringes Erstaunen u. bringen mich, wie kaum zuvor in Verlegenheit. Ich sitze an meinem Antwortbrief
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 16. Juli 1906]
stundenlang (bis fast 1h), da ihn immer wieder umschreiben muß. H. |5| bittet mich um meine Ansicht über einen Besuch, den sie Frau Brachmann in Kiel machen will, nachdem sie durch Frau Humann erfahren, daß jene recht leidend sein soll. H. |5| will sie aufheitern. Das ist ja nun an sich ein recht lobenswertes Vorhaben u. entspricht ganz dem guten Herzens meines Schatzes, aber solch' Unternehmen mit unseren zeitigen Verhältnissen in Einklang zu bringen, ist doch recht schwierig. Als ich andeutete die Zwillinge |6| zu ihrer Erholung hierher zu nehmen
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 15. Juli 1906]
wies H. |5| sehr energisch auf die Unkosten hin u. darauf, daß ich doch alles vermeiden sollte was nicht ganz notwendig auszugeben wäre, damit ich hier etwas erübrigte, was wir dann nützlich anlegen sollten. Nun, das Zeugnis kann ich mir geben, dß ich danach handele. Ich knausere um den Pfennig, leiste mir trotz der anstrengenden Arbeit nichts. Und nun sollen plötzlich, um anderen Leuten entgegen zu kommen, die mühsam errungenen Groschen wieder hingegeben werden. Ich muß sagen, dß diese Zumutung mich recht traurig stimmte u. ich garnicht weiß, was in mein sonst so verständiges, überlegendes Weib gefahren ist. Kann nur annehmen, dß die Briefe der Goldst. Mädchen über ihren Aufenthalt in Kiel, H. |5| so lebhaft an die alten Zeiten erinnerten, daß jenes Verlangen sie übermannte. Liebend gern gäbe ich ja alles hin, wenn ich den Meinen eine Freude machen kann. Aber zu einer kranken Frau u. zwar unaufgefordert zu gehen u. damit doch Pflichten ihr gegenüber zu übernehmen, wenn es nicht dringend notwendig u. wenn direkte Opfer damit verbunden, ds will mir nicht in den Sinn. Und ganz unbegreiflich ist es mir, dß H. andeutet, dß mit dieser Reise auch eine Annäherung an die neue Schwägerin zu verbinden wäre. Wie H. |5| dabei den ersten Schritt tun will ist mir unfaßbar, nachdem auf einen Ausgleichversuch den ich durch einen Hochzeitsbrief machte, nicht ein
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 13. Juli 1906]
einziges Wort der Erwiderung erfolgte, vielmehr eisiges Schweigen über unser Hochzeitsgeschenk. Warum denn alle die vorangegangenen, doch so wenig angenehmen Handlungen? Bietet H. |5| jetzt die Hand, bekennt sie sich als im Unrecht befindlich. Und wer steht dafür, dß sie sich nicht einen tüchtigen Abfall |7| leistet, jetzt wo Eugen nicht einmal zu Hause! Wie gesagt, ich stehe vor Rätsel u. das schreibe ich H. |5| dann auch offen. Bin neugierig wie abläuft. Allerlei andere Gedanken, die mich im Anschluß daran quälen, behalte für mich. Ob H. |5| in der Tat glaubt, dß mein hiesiger Aufenthalt
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 14. Juli 1906]
auf mein Vergnügungskonto zu setzen ist? Solches Verkennen würde mich tief schmerzen. Ich hoffe doch, daß H. |5| es mit mir fühlt, wie sehr drückend es für mich ist, mich in einer Position zu befinden, wie jetzt hier. Arbeit ist allerdings keine Schande, aber zurückkehren zu müssen zu einer Tätigkeit die einem vor 30 Jahren anstand, das ist nicht leicht, erfordert viel Ueberwindung.
|1| Dr. med. Edwin Allen Locke (1874–1971), Hospitant aus Boston/Massachusetts (USA)
|2| Dr. med. Emil Kremser (1859–1947), Chefarzt an der Knappschafts-Heilstätte Sülzhayn
|3| Dr. med. Alfred Rosenstein (1877–?), Assistenzarzt an der Knappschafts-Heilstätte Sülzhayn
|4| Karl Ferber, Schwager von Dr. med. Richard Kleffel, und dessen Ehefrau
|5| Johanna Kleffel geb. Kühnemann (1874–1937), Ehefrau von Dr. med. Richard Kleffel
|6| Werner Kleffel (1897–1961) und Walther Kleffel (1897–1976), Zwillingssöhne von Dr. med. Richard Kleffel
|7| Abfall = abfällige Bemerkungen, Abfuhr
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