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Die Weihefeier der neuen Kapelle der Knappschaftsheilstätte Sülzhayn
»Obwohl an der Vollendung des Baues und der inneren Einrichtung und Ausstattung der kleinen Kirche in den letzten Wochen mit allen Kräften gearbeitet worden war, schien es doch fast, als würde es nicht möglich sein, die Kirche soweit herzurichten, daß am 1. Dezember die Weihe stattfinden könnte. Aber es gelang doch. Zwar gestattete die Feuchtigkeit des Gewölbes nur einen vorläufigen einfachen Anstrich der Decke, auch mußte man sich mit einem einmaligen Streichen des Holzwerkes begnügen, indessen waren das doch nur unwesentliche Mängel. Jedenfalls wird das Fehlende sicherlich nur sehr wenigen Festteilnehmern aufgefallen sein.
Die Weihefeier sollte nur im engsten Kreise stattfinden; infolgedessen waren Einladungen nur ergangen an die nächsten Aufsichtsbehörden der Pensionskasse, an die Ortsbehörden der Heilstätte und an einige der Heilstätte besonders nahestehende Personen. Erschienen waren der für Sülzhayn zuständige Bergrevierbeamte Herr Bergrat Richter aus Nordhausen, zugleich als Vertreter des Herrn Berghauptmanns, Herr Landrat von Doetinchem de Rande aus Ilfeld, Herr Konsistorialrat lic. Cohrs aus Niedersachswerfen als Superintendent, Herr Pastor Preu und Pastor Stünkel aus Sülzhayn als der Ortsgeistliche und sein Kollaborator, Herr Bauermeister Bischof und Herr Lehrer Tepperwien aus Sülzhayn, sowie die Frau Oberin der Halleschen Diakonissenanstalt und die frühere Vorsteherin der Heilstätte Schwester Luise Baumann; außerdem der Architekt Fahro aus Halle, der Maurermeister Zietzling aus Ellrich, der Zimmermeister Herr Baumgarten aus Benneckenstein, der Malermeister Herr Naumann aus Ellrich und der Ziegeleibesitzer Herr Töpfer aus Ellrich, und schließlich der Kaufmann Herr Diener aus Ellrich und die Gebrüder Herren Nickel aus Sülzhayn. Die Pensionskasse wurde vertreten durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates Herrn Generaldirektor Bergrat Siemens-Halle, Herrn Bergrat Fürer-Schönebeck und die Knappschaftsältesten Herren Rische-Eisleben und Sieler-Oberröblingen, welche der Aufsichtsrat und die Generalversammlung delegiert hatten. Außerdem waren beide Vorstandsmitglieder, die Herren Stieber und Tribius, der leitende Arzt Herr Dr. Kremser, der Assistenzarzt Herr Dr. Abbée, die Schwestern und Angestellten der Heilstätte, sowie auch zahlreiche Damen und die Privatpatienten des Herrn Dr. Kremser anwesend.
Die Feier begann pünktlich um 3 Uhr im großen Speisesaale der Heilstätte, wo auf einem besonderen Tische die neuen Altargeräte und die gestifteten Gegenstände aufgestellt waren. Der Aufsichtsratsvorsitzende, Herr Bergrat Siemens, eröffnete die Feier mit einer Begrüßungsansprache, in der er die offiziellen Vertreter der Behörden willkommen hieß und ihnen für ihr Erscheinen dankte. Die Heilstätte bestände nun fast 10 Jahre und habe viel Segen gestiftet. Bisher seien die Gottesdienste hier in diesem Saale und auf der Wandelhalle abgehalten worden. Dies habe sich auf die Dauer als unhaltbar erwiesen. Mit Rücksicht auf die große Zahl der Pfleglinge und die lange Dauer der Kur habe sich das dringende Bedürfnis herausgestellt, für die Gottesdienste einen besonderen kirchlich eingerichteten Raum zu schaffen. Die Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten, die ja die Mittel für die Pensionskasse aufbringen mußten, hätten dieses Bedürfnis als so dringend anerkannt, daß sie bereitwillig die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt hätten. Heute solle nun die Kirche geweiht werden. Mit Glück- und Segenswünschen schloß er seine Ansprache.
Herr Bergrat Richter sprach dann als Vertreter des Herrn Berghauptmanns Scharf, der zu seinem lebhaften Bedauern verhindert sei, an der heutigen Feier teilzunehmen, und als zuständiger Bergrevierbeamter herzliche Worte, in denen er die Anteilnahme der Aufsichtsbehörden an der Feier und ihre Glückwünsche zum Ausdruck brachte.
Herr Landrat von Doetinchem, der nach ihm das Wort ergriff, sprach die Glück- und Segenswünsche der Staatsbehörde aus.
Herr Direktor Stieber dankte beiden Herren für ihre freundlichen Worte und erklärte, daß das Herz des Vorstandes heute nur ein Gefühl beherrsche, das Gefühl herzlichen tiefempfundenen Dankes. Nach oben richte sich zunächst der Blick zu dem, ohne dessen Hilfe kein Werk möglich sei. Redner dankte sodann Aufsichtsrat und Generalversammlung für die Bewilligung der Mittel zum Kirchenbau; dem Architekten und Bauleuten, die jeder an seinem Platze und nach seinem Können zur Vollendung beigetragen hätten. Dabei erwähnte er anerkennend die Leistungen der Angestellten der Heilstätte bei dem Bau, insbesondere die Kunstschlosserarbeiten des Maschinenmeisters Herrn Teichfischer. Allen Gästen dankte er für ihre Teilnahme. Besonders Freude habe das Erscheinen der Schwester Luise erregt, die die Heilstätte mit eingerichtet und Jahr hindurch als Oberschwester verwaltet habe. Die Errichtung einer eigenen Kapelle sei ja immer ihr Herzenswunsch gewesen, der nun in Erfüllung gegangen sei.
Auch für zahlreiche Spenden müsse Dank gesagt werden. Eine Nachbildung des Abendmahles von Leonardo da Vinci, in Bronzeguß, die schon vor langer Zeit geschenkt worden war, hat in der Kirche Aufnahme gefunden. Zwei herrliche Kirchenfenster seien von zwei von der Heilstätte sehr nahestehenden Herren gestiftet worden. Eine Handbibel schenkte Schwester Luise, ein Gesangbuch Herr Pastor Preu, eine Altarbibel die Privatpatienten des Herrn Dr. Kremser. Eine Spende aber mache unsere Herzen höher schlagen: Ihre Majestät die Kaiserin habe die Gnade gehabt, ein Kruzifix für den Altar der Kapelle zu überweisen. Die Patienten sollten sich beim Anblick dieses schönen Kruzifixes immer des erinnern, daß unsere Kaiserin heute in Huld und Gnade ihrer gedacht habe.
Nachdem hierauf der Ortsgeistliche Herr Pastor Preu in einem Dankgebete von der Stätte der bisherigen Gottesdienste Abschied genommen hatte, begaben sich die Festteilnehmer in feierlichem Zuge unter Glockengeläute zu dem eine Treppe tiefer gelegenen Eingange zur Kirche. Hier überreichte Herr Baumeister Fahro mit Glück- und Segenswünschen den Kirchenschlüssel Herrn Direktor Stieber, der einige Worte des Dankes sprach und den Schlüssel an den weihenden Geistlichen Herrn lic. Cohrs weiter reichte. Dieser gab ihn an Herrn Pastor Preu, der nun die Tür weit öffnete.
Die schöne Kirche machte einen erhebenden Eindruck auf alle Anwesenden. Durch die bunten Scheiben flutete der Sonnenschein herein; Altar und Kanzel waren mit herrlichem Grün geschmückt und von dem Mittelbilde des Altarraumes schaute das lebensgroße Bild unseres Herrn und Heilandes den Eintretenden entgegen, der segnend seine Hand erhob.
Zuerst betraten die drei Geistlichen die Kirche und begaben sich an den Altar. Ihnen folgte die Menge der Gäste und Patienten. Die Schwestern und Damen nahmen auf der geräumigen Empore Platz. Es mögen wohl an 200 Personen in der Kirche Platz gefunden haben.
Drei Verse des Adventsliedes: ›Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit‹ wurden von der Gemeinde ohne Begleitung gesungen. Hierauf hielt Herr lic. Cohrs die Weiherede, der er eine Stelle aus Jesaias (35, 4) zugrunde legte: ›Gott kommt zu dir und will dir helfen.‹ In tief zu Herzen gehenden Worten führte er aus, daß ohne Gottes Hilfe kein Kranker gesund werden könne. Der Glauben an Gott und die Zwiesprache mit Gott brächte den Kranken auch erst die rechte innere Gesundung, ohne welche eine körperliche Wiederherstellung nicht denkbar sei. Es sei sehr bedeutungsvoll, daß die Oberen der Kasse sich entschlossen, für die Pfleglinge eine Kirche zu bauen, daß die Kirche so würdig ausgestattet sei, daß die Behörden, ja selbst unsere geliebte Kaiserin an der Weihefeier so warme Teilnahme bezeugten. Hier würde den Kranken zugerufen: ›Gott kommt zu dir und will dir helfen‹ und dies würde ihnen ein Trost und eine Hilfe auch zur körperlichen Genesung sein. Als hierauf das Weihegebet verklungen war, setzte das Harmonium mit vollen Akkorden ein, während der schöne Kronleuchter und die Seitenlampen in strahlendem Licht erglänzten - ein Augenblick, der sehr weihevoll und ergreifend war. Aus den jubelnden Tönen des Chorales: ›Nun danket alle Gott‹ ging das Harmonium – eine Orgel besitzt die Kapelle leider noch nicht – wieder in die Weise des Adventsliedes über, dessen beiden letzten Verse von der Gemeinde mitgesungen wurden.
Nunmehr zelebrierte der Ortsgeistliche Herr Pastor Preu eine liturgischen Gottesdienst. Der greise Herr, der soeben erst von einer schweren Erkrankung genesen war und zur allgemeinen Freude zum ersten Male wieder seines Amtes waltete, hatte seiner Predigt das Adventsevangelium zugrunde gelegt (Matth. 21). Seine eindringlichen und lebhaften Ausführungen machten auf die Festversammlung einen tiefen Eindruck und gaben der ganzen Feier einen erhebenden Abschluß.
Nach Schluß des Gottesdienstes besichtigten die Gäste das Gotteshaus und begaben sich sodann wieder in den Speisesaal, wo ein einfacher Imbiß für sie bereitgestellt war. Während des Essens erfolgten dann noch verschiedene Ansprachen. Zunächst schlug Herr Direktor Stieber vor, an Ihre Majestät die Kaiserin ein Danktelegramm, sowie an die früheren Vorsitzenden des Aufsichtsrates, unter deren Leitung der Bau der Kapelle beschlossen wurde, die Herren Bergrat Schroecker und Geheimrat Schreiber, einen telegraphischen Gruß zu senden. Freudige Zustimmung erfolgte. Sodann überreichte er den Angestellten der Heilstätte Teichfischer, Wille und Herbst als Anerkennung ihrer Leistungen beim Bau der Kirche Geldgeschenke. Herr Maschinenmeister Teichfischer dankte. Herr Dr. Kremser ergriff sodann das Wort, um den Dank der Heilstätte für die Bewilligung der Mittel zum Bau der Kapelle, für die schöne Ausführung des Baues und für die herrliche Feier zum Ausdruck zu bringen. Er betonte, daß das Empfinden der Heilstätteninsassen stets unangenehm berührt worden sei, wenn an der Stelle, wo soeben noch Gottes Wort verkündet worden war, nun in Eile alles wieder für die Mahlzeiten hergerichtet werden mußte. Der Bergmann sei ein frommer Mann, und das Gefühl, daß ein höherer Wille die Schicksale lenke und daß ohne Hilfe des Allmächtigen keine Genesung möglich sei, hegten alle Heilstättenpfleglinge. Deshalb seinen sie jetzt alle von herzlicher Freude und herzlichem Dank erfüllt, daß ihnen ein so schönes Gotteshaus geschenkt sei. Ihm erwiderte Herr lic. Cohrs, daß er sich als Geistlicher über vieles, was er heute hier gehört, herzlich gefreut habe. Bei solcher Gesinnung werde der Segen der neuen Kirche nicht ausbleiben. Er schloß mit herzlichen Segenswünschen für die Heilstätte und ihre Pfleglinge.
Da die Mehrzahl der auswärtigen Besucher den letzten Eisenbahnzug in Ellrich erreichen mußten, schloß die Feier schon um 7 Uhr. Nachdem sich die Gäste verabschiedet hatten, wurde die Abendtafel der Pfleglinge hergerichtet, von der noch manches Lied in den Abend hinausklang.
So ist die schöne Kirche in einer würdigen und ergreifenden Feier geweiht worden. Mögen alle die Wünsche, die bei der Feier geäußert wurden, in Erfüllung gehen. Möge von dem Kirchlein ein Segen ausgehen auf die Kranken und die ganze Heilstätte. Das walte Gott! St.«

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